Du sitzt / liegst / stehst unter der Dusche. Eine kolossale Grundfrage trifft dich wie aus dem Nichts:
Ist die Menschheit seit Anbeginn der Zeit überhaupt vom Fleck gekommen? Und wenn ja, wie misst man den Fortschritt der Menschheit?
Keine Sorge, ich lasse dich nicht allein bei der Suche nach einer Antwort darauf.
Eine Möglichkeit dazu ist die Theorie der langen Wellen, manifestiert in den Kondratjew Zyklen. Was es mit denen auf sich hat, erfährst du im nachfolgenden Artikel. Außerdem:
Das lernst du im Artikel zur Theorie der langen Wellen / Kondratjew-Zyklen:
- Was die Idee hinter dem Kondratjew Zyklus ist
- Wie viele Zyklen es gibt und warum es genau diese sind
- In welchem Zyklus wir uns gerade befinden
- Warum es gar nicht so einfach ist, den 6. Kondratjew Zyklus genau zu bestimmen
- Welche Tools und Blickwinkel dir links und rechts neben der Theorie der langen Wellen bei der Beantwortung der Eingangsfrage helfen
Genug des Vorworts springen wir rein ins Vergnügen!
Was sagt die Theorie der langen Wellen aus? Was sind Kondratjew Zyklen?
Die Kondratjew-Zyklen und die dahinter liegende “Theorie der langen Wellen”, sind ein Theoriegebäude zur Betrachtung von Wirtschaftsentwicklungen. , welches im Jahr 1926 von Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Kondratjew als Ergänzung bzw. Gegenstück der bis dahin vorherrschenden kurzfristigen Schweinezyklen erdacht wurden.
Ziel der Theorie der langen Wellen ist es, Paradigmenwechsel und damit verbundene Investitionsmöglichkeiten zu prognostizieren bzw. einzuordnen.
Jeder Kondratjew Zyklus hat dabei einen viergeteilten Lebenslauf:
- Wachstum
- Rückgang
- Talsohle
- Verbesserung
Da diese Abfolge so etwas wie ein “Naturgesetz der Wirtschaft” darstellt, findet sich diese „Vita“ auch in anderen Schablonen wie z.B. dem Hype Cycle wieder. (Naturgesetz deshalb, weil jede Lösung neue Probleme nach sich zieht, welche wiederum Lösungen produziert usw. Siehe dazu auch das Buch „The Beginning of Infinity„* von Quantenphysiker David Deutsch)
So sehen diese „vier Jahreszeiten“ des Kondratjew Zyklus aus: (Die blauen Striche teilen jeweils einen Bereich vom anderen ab)
Aktuell wird die technologische Entwicklung seit der Erfindung der Dampfmaschine in 5 Zyklen eingeteilt, wobei wir uns sehr wahrscheinlich mittlerweile ein einer sechsten befinden.
Warum genau 5 bzw. aktuell 6 Zyklen und nicht 12 oder 349?
Bei allen Kondratjew Zyklen geht es dabei um epochen-prägende Basistechnologien. Was es damit auf sich hat und welche davon die einflussreichsten sind, habe ich in meinem Artikel “Die wichtigsten Erfindungen der Welt” auch näher behandelt.
Und diese epochen-prägenden Fundamental-Technologien gibt es, wie der Name schon vermuten lässt, nicht im Zyklus neuer Smartphones aller paar Monate. Genau diese Betrachtungsweise macht die Kondratjew Zyklen auch so spannend. Denn sie zoomen weit genug heraus, um Muster erkennbar zu machen. Und bleiben doch nah genug am technologischen Geschehen, um konkrete Schlüsse ziehen zu können.
Was einen solchen Kondratjew auszeichnet, hat diese Grafik gut näherungsweise zusammengefasst:
Was waren die bisherigen Kondratjew Zyklen? Und welcher Kondratjew Zyklus ist der nächste?
Kondratjew hat die bisherige technologische Entwicklung der Menschheit aus der Vogelperspektive wie folgt eingeteilt: (Er hat es vor allem aus ökonomischer Sicht betrachtet, ich sehe das Ganze durch die Brille technologischer Entwicklung)
- Zyklus (1780-1850): Die Dampfmaschine
- Zyklus (1850-1890): Eisenbahn und Dampfschiffe
- Zyklus (1890-1940): Elektrotechnik- und Schwermaschinen, Chemie
- Zyklus (1940-1990): Integrierter Schaltkreis, Kernenergie, Transistor
- Zyklus (1990-?): Informations- und Kommunikations-Technik, aber auch Technologien die Kernspaltung und die Raumfahrt
- Zyklus (?): ???
Bei den genauen Rahmendaten der jeweiligen Zyklen sowie den zentralen Basisinnovationen sind sich die Experten insgesamt uneins.
Das kann man, je nach gewählter Relations-Dimension entweder als konstante Abfolge oder stetige Steigung der Entwicklung betrachten. Was zu verschiedenen Darstellungen auf der vertikalen y-Achse führt:
Rückwirkend ergibt die Theorie der langen Wellen absolut Sinn. Erfindungen sind manifestierte Problemlösungen. Dank Ihres rekombinativen Charakters erreichen sie irgendwann einen Punkt, an dem viele kleine Verbesserungen den Weg ebnen für einen neuen, großen Knall. Disruption ist angesagt. Das Ganze verläuft dabei mit einer beinahe gespenstischen Exaktheit exponentiell, spätestens seit den Grundlagen der Rechnertechnik, wie dieses Bild schön zeigt:
Rekombination von Technologien
= Die Eigenschaft, jede Erfindung mit jeder anderen prinzipiell kombinieren und damit neues erschaffen zu können, was bei mehr Erfindungen zu immer schneller immer mehr Erfindungen führt. Siehe dazu auch diesen exzellenten TED-Talk, in welchem dies weiter ausgeführt wird.
So weit, so nachvollziehbar. Die Kondratjew-Zyklen geben also eine Betrachtung akkumulierter Entwicklung. Sehr reduziert und sehr zusammengefasst aber damit auch sehr schnell einsetzbar. Sie siedeln sich quasi zwischen dem Hype-Cycle und vergleichbaren Tools einerseits und Betrachtungen aus dem Orbit wie der Kardaschow-Skala andererseits an.
Doch anders als diese beiden Werkzeuge bietet der Kondratjew-Zyklus keine leichte Extrapolation in die Zukunft. Was zur großen Preisfrage führt, für alle denen Geschichte allein zu langweilig ist:
Welcher ist der 6. Kondratjew Zyklus?
Wir wissen also, in welchen “Entwicklungsschüben” sich die Menschheit technologisch in den letzten ein- bis dreihundert Jahren verändert hat.
Doch jetzt die große Frage: Befinden wir aktuell in einem neuen Kondratjew (Zyklus)?
Und wenn ja, in welchem?
Welche Basistechnologie prägt unsere Zeit entscheidend? Das lässt sich nicht aus dem Hut beantworten. Denn anders als bisher sind zwei entscheidende Faktoren anders:
- Die Anzahl der kombinierbaren Technologien: Diese haben spätestens seit dem Ende des zweiten Weltkrieges einen Tipping-Point erreicht, welcher zu bisher unbekannten (Entwicklungs)Geschwindigkeiten geführt hat.
- Kommunikation und Information global und in Lichtgeschwindigkeit: Die Zahl der “wissensschaffenden Punkte”, also Entwickler, Ingenieure, Crowd Scientists, Forscher etc. die miteinander in Echtzeit kommunizieren können, ist explodiert. Und zwar richtig wirklich schnell:
Doch nicht nur, dass die Welt (des Fortschritts) damit zu einer einzigen verschmolzen ist. Sie hat zeitgleich auch ihre Interaktions- und Austauschrate (nahezu) maximiert. Tage, Wochen und Monate der Briefe, Postwurfsendungen und Pakete sind flächendeckend Echtzeit gewichen. Und mit immer ausgeklügelteren digitalen Tools werden die letzten Prozente der so massiv dazugewonnenen Effizient herausgeholt. (Slack, Asana, Zoom, die Google-Suite, soziale Netze etc. – prinzipiell alles was skalierbar ist und Mehrwert bietet)
Heißt? Die Entwicklung geht derart schnell, dass es unter Umständen sinnvoll ist, bereits jetzt mehrere “Mikro-Kondratjew-Zyklen” auszurufen, als einen überspannenden.
Vergleichen wir es auf einen Blick:
Durchschnittsdauer eines Kondratjew Zyklus bisher: 40-60 Jahre
Aktuelle Entwicklungsdauer potenzieller Basistechnologien: < 30 Jahre.
Wir haben also entweder bisherige Kondratjew Zyklen nahezu halbiert, oder wir brauchen eine andere Betrachtung. Doch warum meine ich das? Schauen wir uns die letzten 30 Jahre technologisch an.
Diese haben uns gebracht:
- Computer -> Smartphones
Internet -> Maschennetze & andere Alternativen die gerade in den Kinderschuhen stecken - CRISPR -> Synthetisches Leben
- Künstliche Intelligenz -> „Vorausschauend rückblickend betrachtet“ wahrscheinlich einer der besten Kandidaten für den 6. Kondratjew (Und vielleicht den letzten, den wir je so messen)
- Mensch-Maschine Interaktion -> Hirn-Computer-Schnittstellen
- Etc. -> Diese Liste ließe sich noch ein gutes Stück fortführen und macht den Punkt deutlich denke ich.
Oder, bildlich gesprochen: (Die Geschwindigkeit von Entwicklungen pro Zeit nimmt seit Anbeginn der Menschheit konstant zu. Rekombination und so)
Heißt: Ich glaube es gibt weniger die eine Antwort auf die Frage nach dem 6. Kondratjew-Zyklus im “klassischen” Rahmen der Theorie der langen Wellen. Ich denke es wird eher auf eine Verständnis-Anpassung des Gesamtkonzeptes hinauslaufen.
Was soll ich sagen, wir leben nunmal in einer wirklich spannenden Zeit. So spannend, dass selbst Klassifizierungen und Einordnungen manchmal an Ihre Grenzen stoßen.
Was mich zu den Vor- und Nachteilen dieser Betrachtungsweise und dem abschließenden Fazit bringt:
Kondratjew Zyklen und die Theorie der langen Wellen – Fazit
Vorteile des Kondratjew Zyklus:
- Ermöglicht schnellen „Draufblick“ von „oben“ auf technologische Entwicklungen und deren Richtung.
- Bietet schnelle Investitionsansätze, da man Entwicklungen grob abschätzen kann.
- Ermöglicht gezielte Forschung und Entwicklung hin zu aussichtsreichen Technologie-Kandidaten, da die grobe Richtung absehbar ist.
Nachteile der Theorie der langen Wellen:
- Die Y-Achse ist oft schwer definierbar.
- Führt Mangel als Grundlage für Innovation aus. Ich gehe dahingehend wie gesagt eher mit Quantenphysiker David Deutsch dàccord*, dass Wissen die Grundlage dafür ist. Not macht zugegebenermaßen erfinderisch. Eine Vielzahl neuer Erfinder sowie besserer Zugriff zu Technologien, mehr Freizeit, bessere Bildung etc. allerdings auch.
- Wie bei vielen ähnlichen Ansätzen gilt leider auch hier wieder: Er ist nicht wissenschaftlich basiert. Es gibt bei der Theorie der langen Wellen keine konkreten Messpunkte und reproduzierbaren Daten. Was nicht heißt, dass er nicht durchaus hilfreich sein kann, wie diese Darstellung leicht zeigt:
Wenn du mehr zur Theorie der langen Wellen und den Kondratjew Zyklen wissen möchtest, findest du hier ein spannendes Buch zum Thema*:
Was denkst du zur Theorie der langen Wellen und dem Kondratjew Zyklus? Hilfreiches Tool oder haltlose Abstraktion? Ich bin auf deinen Kommentar gespannt!
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